Auch mich fasziniert sie immer wieder aufs Neue, die Federzeichnung von Leonardo da Vinci, welche den aufrecht stehenden Mensch darstellt, der sich sowohl in die geometrische Form des Quadrates wie des Kreises einfügt. Gestern Abend war diese Zeichnung wieder einmal Anlaß zu einer interessanten Diskussion, als unsere Gäste diese in unserem Treppenaufgang betrachteten; vor einigen Jahren hatte ich das Glück, einen Kunstdruck zu erwerben – er hat das Format von ca. 2,50 × 1,80 Meter, gedruckt auf einen dünnen, transparenten Stoff. ………….

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Das 519 Jahre alte Original Leonardo da Vincis, welches während seiner frühen Mailänder Jahre (1482–1499) im Jahre 1492 entstand, ist lediglich 34,4 × 24,5 Zentimeter groß und es war laut Quellen eine Skizze mit Notizen aus einem seiner Tagebücher, die einen Mann mit ausgestreckten Extremitäten in zwei überlagerten Positionen zeigen: Den “homo ad quadratum“, der Mann im Quadrat – er steht mit enger Fußstellung und waagrecht ausgestreckten Armen; den “homo ad circulum“, der Mann im Kreis – er steht mit gespreizten Beinen und etwas nach oben gestreckten Armen, innerhalb der geometrischen Kreisfigur. Inzwischen ist der «Vitruvianischer Mensch» ein häufig adaptiertes Symbol. Neben diversen Versicherungen, die dieses Symbol als Logo auf ihre Karten drucken, ist es auch auf der italienischen Euro-Münze verewigt; als Tattoo-Motiv und vielerorts wird es ebenfalls gerne verwendet.

Leonardo da Vinci und zahlreiche weitere Künstler der Renaissance , u.a. auch Albrecht Dürer wurden von der  Theorie des “homo bene figuratus“, des  wohlgeformten Menschen inspiriert. Das Ganze geht auf Proportions-Studien von Vitruv, römischer Architekt, Ingenieur und Architekturtheoretiker des 1. Jahrhunderts v. Chr. zurück. In zehn Büchern legte er die Prinzipien der Architektur fest und definierte dabei die sechs Grundbegriffe: „ordinatio“, „dispositio“, „eurythmia“, „symmetria“, „decor“ und „distributio“. Beim «Vitruvianischen Menschen» bezieht er sich auf idealisierte Maßverhältnisse des menschlichen Körpers, indem er die geometrische Grundformen, das Quadrat und Kreis als Formen verwendet, in die sich ein aufrecht stehender Mensch einfügen läßt.

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Ferner ist natürlicherweise der Mittelpunkt des Körpers der Nabel. Liegt nämlich ein Mensch mit gespreizten Armen und Beinen auf dem Rücken, und setzt man die Zirkelspitze an der Stelle des Nabels ein und schlägt einen Kreis, dann werden von dem Kreis die Fingerspitzen beider Hände und die Zehenspitzen berührt. Ebenso, wie sich am Körper ein Kreis ergibt, wird sich auch die Figur eines Quadrats an ihm finden. Wenn man nämlich von den Fußsohlen bis zum Scheitel Maß nimmt und wendet dieses Maß auf die ausgestreckten Hände an, so wird sich die gleiche Breite und Höhe ergeben, wie bei Flächen, die nach dem Winkelmaß quadratisch angelegt sind.Beim „homo ad quadratum“ ist dagegen der Schritt der exakte Mittelpunkt des Quadrates.

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Die Proportionen und Verhältnisse der Extremitäten zueinander werden ebenfalls von Vitruv genauestens zahlenmäßig definiert:

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Der Körper des Menschen ist so geformt, dass das Gesicht vom Kinn bis zum oberen Ende der Stirn und dem unteren Rand des Haarschopfes 1/10 beträgt, die Handfläche von der Handwurzel bis zur Spitze des Fingers ebenso viel, der Kopf vom Kinn bis zum höchsten Punkt des Scheitels 1/8 […] Vom unteren Teil des Kinns aber bis zu den Nasenlöchern ist der dritte Teil der Länge des Gesichts selbst, ebenso viel die Nase von den Nasenlöchern bis zur Mitte der Linie der Augenbrauen. Von dieser Linie bis zum Haaransatz wird die Stirn gebildet, ebenfalls 1/3 […]

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Die Doppelfigur in Kreis und Quadrat vermochte es allerdings leider nicht, das klassisches Problem der Geometrie, die “Quadratur des Kreises” zu lösen: aus einem gegebenen Kreis in endlich vielen Schritten ein Quadrat mit demselben Flächeninhalt zu konstruieren, ist nach wie vor unlösbar. Der Beweis der Unmöglichkeit gelang im Jahre 1882 Ferdinand von Lindemann.

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Ja, angeregt durch unseren künstlerischen Druck-Wandbehang von Leonardo da Vinci hatten wir lebhafte Diskussionen zum Thema Körperproportionen in Richtung Idealmaße und das heutzutage entsetzliche Streben nach Schönheitsidealen mit dem Effekt vieler Schönheitsoperationen, die bereits im Teenageralter auf dem Wunschzettel stehen. Auch die Akzeptanz der Unlösbarkeit gewisser Probleme, wie die Quadratur des Kreises standen zur Debatte – alles Gedanken, über die sich bereits Menschen vor mehr als 500 Jahren den Kopf zerbrochen haben!